Kurz vor der parlamentarischen Sommerpause nimmt die Debatte um eine bessere Bezahlung von Pflegekräften doch noch an Fahrt auf. Nach einem Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), den er an das laufende Gesetzgebungsverfahren koppeln will, müssen Pflegeeinrichtungen ab 1. Juli 2022 nach Tarif oder tarifähnlich bezahlen. Sonst erhalten sie kein Geld von der Pflegekasse. Eine Entscheidung soll im Juni fallen.
Der öffentliche Schlagabtausch in der Koalition zur Anhebung der Löhne in der Altenpflege hält an. Die Streitfragen: Wie sind auf den letzten Drücker die Weichen für eine bessere Bezahlung von Pflegekräften zu stellen? Was ist in dieser Legislatur noch zu retten von den großen Reformvorhaben? Und wie kann dabei sichergestellt werden, dass die entstehenden Kosten nicht einseitig zulasten der Pflegebedürftigen gehen?
Nachdem ein flächendeckender Tarifvertrag zu Jahresbeginn am Widerstand der Arbeitgeber gescheitert war, hatte zunächst der Bundesarbeitsminister Druck gemacht. Hubertus Heil (SPD) forderte eine kurzfristige Änderung des Sozialgesetzbuches, um Fachkräften ordentliche Tariflöhne zu sichern. Es gebe „Schlupflöcher“ in dem Mitte März veröffentlichten Arbeitsentwurf eines Pflegereformgesetzes, so Heil.
Spahn konterte. Seine Pflegepläne, deren Eckpunkte er schon im Herbst vorgestellt habe, enthielten bereits Vorgaben für eine Altenpflege nach Tarif. Es reiche aber eben nicht aus, nur die Tariflöhne zu erhöhen, wenn die Finanzierungsfrage nicht geklärt sei, argumentierte der Gesundheitsminister.
Dies gehe ansonsten auf Kosten der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen, deren Eigenanteile sich in der Konsequenz um monatlich 130 Euro erhöhen könnten.
Entlastende Zuschüsse aus der Pflegekasse geplant
Um Pflegebedürftige von steigenden Zuzahlungen zu entlasten, soll es laut Spahn deshalb ab dem 1. Juli 2021 –also bereits im laufenden Jahr – Zuschläge aus der Pflegekasse geben.
2.068 Euro müssen Pflegebedürftige im Bundesdurchschnitt monatlich für die Unterbringung in einer Einrichtung zahlen. Der Anteil für die reine Pflegeleistung macht davon 831 Euro aus. Diesen möchte Spahn aus der Pflegekasse bezuschussen: Der Eigenanteil für die reine Pflege soll im zweiten Jahr für Pflegebedürftige der Grade zwei bis fünf um 25 Prozent sinken, im dritten Jahr um 50 Prozent und ab dem vierten Jahr um 75 Prozent. Zur Gegenfinanzierung schlägt der Bundesgesundheitsminister unter anderem vor, den Zuschlag der Pflegeversicherungsbeiträge für Kinderlose anzuheben.
SoVD begrüßt Ansatz zu Tariflöhnen in der Pflege
Seit Jahren begleitet der SoVD engagiert die Entwicklung zur Umsetzung der längst überfälligen Pflegereform. Wiederholt hat sich der Verband hierzu mit tragfähigen Vorschlägen und Konzepten in die gesundheitspolitische Diskussion eingebracht. Dass tiefgreifende Reformen in der Pflege in dieser Legislatur ausbleiben werden, bemängelt der SoVD mit Nachdruck.
Auch zu den Änderungsanträgen des Bundesgesundheitsministeriums zum GVWG (Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz) bezog der SoVD jetzt Stellung, in der Hoffnung, dass zumindest kleinere spürbare Verbesserungen und Entlastungen doch noch zu erreichen sind. Pflegereform „light“ ist das Stichwort.
„Wir unterstützen den Ansatz, tarifliche Bezahlung in der Pflegebranche zu etablieren, und befürworten auch weiterhin einen flächendeckenden Tarifvertrag“, bewertet SoVD-Präsident Adolf Bauer im Grundsatz die vorliegenden Pläne.
Keine Dumpinglöhne durch die Hintertüre
Angesichts der Formulierung, nach der Pflegeeinrichtungen ab 1. Juli 2022 nur noch dann zugelassen werden sollen, wenn sie zur Entlohnung von Arbeitskräften im Pflege- oder Betreuungsbereich „entweder selbst einen Tarifvertrag oder Haustarifvertrag abgeschlossen haben oder an kirchenrechtliche Arbeitsrechtregelung gebunden sind“ (es wurde auch von „tarifähnlich“ und „ortsüblich“ gesprochen), warnt der SoVD allerdings vor Dumpinglöhnen durch die Hintertür.
„Schlechte Haustarife dürfen bei der Entlohnung keinesfalls zum Maßstab werden“, erklärt Bauer.
Als Interessenverband für pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige ist es für den SoVD besonders wichtig, dass Pflegebedürftige vor höheren Kosten durch steigende Eigenanteile geschützt werden. Die Vorschläge Spahns greifen jedoch an dieser Stelle aus Sicht des Verbandes zu kurz. „Durch Leistungszuschläge in der vollstationären Pflege werden zwar die in besonders hohem Maße finanziell belasteten Langzeitpflegebedürftigen entlastet“, sagt Bauer und betont gleichzeitig: „Die meisten Menschen bleiben aber nur ein bis zwei Jahre in der Vollzeitpflege.“ 25 Prozent der Heimbewohner*innen wohnten sogar weniger als ein Jahr in den Pflegeheimen.
„Wenn die Regelung erst nach zwölf Monaten greift, ist für viele Menschen somit eine Entlastung von vornherein ausgeschlossen. Sie kommt schlicht zu spät“, macht Bauer deutlich. „Eine große Zahl der Pflegebetroffenen würden somit nichts von den Zuschüssen haben, schlimmer noch: Die Eigenanteile könnten steigen.“
Die großen Finanzierungsfragen bleiben deshalb weiter offen: „Es führt aus unserer Sicht kein Weg daran vorbei, Pflege stärker als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrzunehmen. Die Lasten dürfen nicht einseitig auf den Schultern von Pflegebedürftigen liegen“, so das Fazit des SoVD-Präsidenten.
Wenig Reformvorhaben in die Tat umgesetzt
Umfassende Reformen in der Pflege waren eines der großen Versprechen im Koalitionsvertrag. Verbesserungen wie eine Dynamisierung der Pflegeversicherungsleistungen und die Einführung eines Budgets aus Kurzzeit- und Verhinderungspflege wurden vollmundig angekündigt. Außerdem: höhere Löhne in der Alten- und Krankenpflege im stationären und ambulanten Bereich, vertretbare Arbeitsbedingungen für alle Pflegekräfte, eine bestmögliche Versorgung der rund vier Millionen Pflegebedürftigen und die sozial vertretbare Finanzierung all dessen – soweit der Plan. Von den vielen Vorhaben ist in der konkreten Umsetzung wenig übrig geblieben.
Zwar hatte die Bundesregierung im Rahmen der Konzertierten Aktion Pflege (KAP) an ersten Weichenstellungen gearbeitet, indem sie zusätzliche Stellen finanzierte, das Schulgeld für die Pflegeausbildung strich, Mindestlöhne für Pflegefachkräfte einführte und immerhin die Voraussetzungen für einen flächendeckenden Tarifvertrag schuf. Als dann die Pandemie kam, standen jedoch plötzlich andere Fragen im Vordergrund.
Pandemie machte Missstände unübersehbar
An der systemischen Misere, den Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen, in der Pflege und Krankenhäusern änderte dies nichts – im Gegenteil, der Notstand verschärfte sich um ein Vielfaches. Allerdings traten die Missstände jetzt in der öffentlichen Wahrnehmung unübersehbar zutage.
Mit den Änderungsanträgen zum GVWG hat Bundesgesundheitsminister Spahn nun das Ruder wieder in die Hand genommen. CDU / CSU und SPD bleiben noch wenige Wochen, um spürbare Verbesserungen auf den Weg zu bringen. Wenn die parlamentarischen Beratungen abgeschlossen werden und das Kabinett die Änderungsanträge absegnet, wäre wenigstens ein Teil vor der Sommerpause erledigt. Tiefgreifende Reformen zur Behebung der dramatischen Pflegemissstände bleiben für die neue Bundesregierung liegen.
Letzte Chance für Verbesserungen
Jetzt soll es (Stand Drucktermin der Juniausgabe) noch eine Anhörung geben.
Der SoVD wird die Interessen der Pflegebedürftigen in der heißen Phase der Entscheidungen mit Nachdruck vertreten.
Die Stellungnahmen des SoVD zum Thema „Pflege“ finden Sie unter www.sovd.de