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Referentenentwurf Bürgergeld-Gesetz

Grundsicherung Armut

Stellungnahme zumr Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales: Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze - Einführung eines Bürgergeldes

(Bürgergeld-Gesetz)

1 Zusammenfassung des Gesetzesentwurfs

Mit dem neuen Bürgergeld soll das Arbeitslosengeld II grundsätzlich reformiert werden. Dabei stellt der Referentenentwurf darauf ab, erwerbsfähige Leistungsberechtigte auf ihrem Weg zurück in den Arbeitsmarkt wieder stärker zu fördern. Der Vermittlungsvorrang soll abgeschafft und gleichzeitig sollen Aus- und Weiterbildungsangebote deutlich verbessert werden. Die Zusammenarbeit mit den Jobcentern soll künftig wieder verstärkt auf Augenhöhe stattfinden. Daher ist geplant, dass die Eingliederungsvereinbarung als ehemals rechtsverbindlicher Vertrag durch einen Kooperationsplan abgelöst wird, den die Integrationsfachkraft gemeinsam mit dem Leistungsberechtigten erarbeitet. Der Kooperationsplan soll eine Potenzialanalyse enthalten, die neben den Fähigkeiten und Qualifikationen auch auf Stärken und sonstige Soft Skills abzielen soll. Im Kooperationsplan soll das Eingliederungsziel und der Weg dorthin (samt Mitwirkungspflichten) festgehalten werden. Es soll eine Vertrauenszeit in den ersten sechs Monaten des Leistungsbezugs eingeführt werden, die mit Abschluss des Kooperationsplans beginnt. Bei guter Zusammenarbeit soll die Vertrauenszeit auch über die sechs Monate hinaus bestehen. In der Vertrauenszeit soll es keine Leistungsminderungen aufgrund von Pflichtverletzungen geben. Meldeversäumnisse können auch schon während der Vertrauenszeit mit Sanktionen gerügt werden. Im Konfliktfall ist ein Schlichtungsverfahren vorgesehen.

Damit sich Leistungsberechtigte besser darauf konzentrieren können, einen Weg zurück auf den Arbeitsmarkt zu finden, soll eine Karenzzeit beim Vermögen und bei den Kosten der Unterkunft und Heizung eingeführt werden. Sofern der Antragstellende erklärt, nicht über erhebliches Vermögen zu verfügen, wird dieses in den ersten beiden Bezugsjahren bei der Bedürftigkeitsprüfung nicht berücksichtigt. Danach gelten für Bürgergeld-Beziehende höhere Schonvermögensgrenzen als bisher (15.000 Euro pro Leistungsbeziehendem), im SGB XII sind sie mit 10.000 Euro jedoch niedriger angesetzt. Die Kosten der Unterkunft und Heizung sollen ebenfalls in den ersten beiden Jahren nicht auf ihre Angemessenheit geprüft werden, sondern vollständig in tatsächlicher Höhe anerkannt werden. Insbesondere für Schüler*innen werden die Grundabsetzbeträge beim Bürgergeld und in der Grundsicherung verändert, sodass sie künftig ihr verdientes Geld aus Ferienjobs behalten dürfen.

Außerdem werden im Referentenentwurf die vom Bundesverfassungsgericht 2019 genannten Erfordernisse an eine Revision der Sanktionen beim Arbeitslosengeld II umgesetzt. Leistungsminderungen bei Pflichtverletzungen sollen nur noch bis 30 Prozent des Regelbedarfs möglich sein. Leistungsminderungen bei Meldeversäumnissen sollen max. 10 Prozent betragen und längstens einen Monat andauern – bei Pflichtverletzungen sind es drei Monate, die der Leistungsberechtigte durch die Erfüllung der Pflichten oder eine glaubhafte Absichtserklärung verkürzen kann. Darüber hinaus soll die Zwangsverrentung abgeschafft werden.

2 Gesamtbewertung 

Trotz vieler positiver Regelungen im Referentenentwurf möchte der SoVD zunächst ausdrücklich darauf hinweisen, dass Leistungsberechtigte existenzsichernder Leistungen aktuell vor allem auch eines brauchen: Und das sind höhere Regelsätze. Nachdem die Corona-Pandemie Leistungsberechtigten so vieles abgefordert hatte, ist die Existenznot spätestens mit der rasant steigenden Inflation in allen Haushalten im Grundsicherungsbezug angekommen. Ganz entscheidend für die gesamtheitliche Beurteilung des neuen Bürgergeldes wird daher sein, wie hoch dieses letztlich sein soll. Denn darauf gibt der vorliegende Referentenentwurf (noch) keine Antwort.

Die grundsätzliche Stoßrichtung des „Förderns“ ist aus Sicht des SoVD beim neuen Bürgergeld jedoch genau die Richtige. Das Zusammenspiel von Beschränkungen der Sanktionsmöglichkeiten, Einführung einer Vertrauenszeit, der neue Kooperationsplan als Arbeitsgrundlage zur Wiedereingliederung, ein Schlichtungsverfahren in Konfliktfällen, Coaching-Möglichkeiten und die Abschaffung des Vermittlungsvorrangs stimmt den SoVD vorsichtig hoffnungsvoll, dass der mitunter sehr scharfe Ton und der wenig von Kooperation geprägte Umgang zwischen Integrationsfachkräften und Leistungsbeziehenden durch eines neues positives Klima des Förderns in die Jobcenter Einzug erhält.

So soll z.B. der Kooperationsplan eine Potenzialanalyse enthalten, die auch auf die Stärken und Soft Skills der Leistungsberechtigten abstellt. Der SoVD begrüßt, dass Leistungsberechtigte mit der Vertrauenszeit mindestens sechs Monate lang unmittelbar zu Beginn des Leistungsbezugs einen Vertrauensvorschuss erhalten, ohne Leistungsminderungen aufgrund von Pflichtverletzungen erwarten zu müssen. Auf diese Weise kann eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe erreicht und der Übergang vom Arbeitslosengeld I ins Arbeitslosengeld II etwas abgefedert werden.

Der SoVD hält den geplanten mehrstufigen Mechanismus bei Pflichtverletzungen aus 1. Vertrauenszeit, 2. Verwaltungsakt mit Rechtsbehelfsbelehrung zum Einfordern der Mitwirkungspflichten, 3. Einräumen von einer dreimonatigen Frist zur Mitwirkung und, bei negativem Ausgang, 4. anschließender Sanktionierung für zweckmäßig, um Leistungsberechtigte bei anhaltender gravierender Pflichtverletzung als Ultima Ratio zur Mitwirkung zu bewegen.

Der SoVD begrüßt, dass Leistungsminderungen von Meldeversäumnissen nur für die Dauer von einem Monat erfolgen sollen. Für die ersten sechs Monate nach Abschluss eines Kooperationsplans sollte es zur Stärkung der Zusammenarbeit jedoch aus Sicht des SoVD auch bei Meldeversäumnissen in der Vertrauenszeit keinerlei Sanktionsmöglichkeiten geben Bevor Sanktionen vollzogen werden, soll nach dem Referentenentwurf eine Härtefallprüfung erfolgen – eine für den SoVD sehr positiv zu bewertende Regelung, die die Jobcenter dazu anhält, sich den Einzelfall stets genau anzusehen und so Existenznot zu vermeiden. Für aufstockende Leistungsbeziehende sollten Sanktionen aus Sicht des SoVD gänzlich entfallen.

Auch die Einführung eines Schlichtungsverfahrens hält der SoVD für einen wichtigen Schritt, um die Zusammenarbeit zwischen Jobcentern und Leistungsberechtigten zu verbessern. Auf diese Weise kann niedrigschwellig an Lösungen gearbeitet werden, wenn die Situation zwischen Integrationsfachkraft und Leistungsbeziehendem verfahren ist. Aus Sicht des SoVD birgt die aktuelle Regelung aber die Gefahr, dass keine echte Schlichtung möglich ist. Wenn die Integrationsfachkraft den*die Kolleg*in zur Schlichtung hinzubittet, ist eine neutrale Betrachtung der Sachlage, auch im Sinne der Betroffenen, mitunter nicht immer möglich. Hier muss aus Sicht des SoVD eine unabhängige Schlichtungsstelle eingerichtet werden.

Der SoVD begrüßt ausdrücklich, dass mit der Abschaffung des Vermittlungsvorrangs für Leistungsbeziehende nun die dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt explizit angestrebt wird und Arbeitsuchende nicht mehr jedweden Job annehmen müssen. Der Referentenentwurf für ein Bürgergeld-Gesetz enthält insgesamt zahlreiche Maßnahmen, die der (Fach-)Kräftesicherung dienen, vor allem im Bereich der abschlussbezogenen Weiterbildung. Diese werden wiederum durch Coachings und die Unterstützung sozialpädagogischer Fachkräfte untermauert. Laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln (IW) steche die akute Personalnot in der Sozialarbeit und -pädagogik mit 20.600 nicht zu besetzenden Stellen am stärksten hervor.

In diesem Bereich arbeiten nicht nur viele Erzieher*innen und Pädagog*innen, die die Fachkräfte von morgen heranziehen, sondern eben auch viele Kräfte, die in der Arbeitsmarktintegration helfen. Aus Sicht des SoVD ist es daher insgesamt – für die Erfüllung der neuen Grundsätze durch das Bürgergeld, aber auch die Bildung, Erziehung und pädagogische Unterstützung von Kindern und Familien – unerlässlich, eine Fachkräfte-Offensive für soziale Berufe zu starten. Gleichzeitig muss aus Sicht des SoVD sichergestellt werden, dass für die Weiterbildungsförderung zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Sehr positiv bewertet der SoVD in dem Kontext auch, dass eine ganzheitliche Betreuung (Coaching) von Leistungsbeziehenden mit dem geplanten neuen Bürgergeld ermöglicht werden soll, wenn komplexe Problemlagen eine Integration in den Arbeitsmarkt erschweren. Aufsuchende Hilfen fordert der SoVD schon seit vielen Jahren. Dass ein solches Coaching auch über den Leistungsbezug hinaus möglich gemacht werden soll, begrüßt der SoVD ausdrücklich. Auf diese Weise kann eine dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt positiv begleitet werden. Ausdrücklich begrüßen möchte der SoVD außerdem, dass die Eingliederungsvereinbarung durch einen Kooperationsplan abgelöst werden soll. Die Niedrigschwelligkeit des Kooperationsplans vereinfacht die Zusammenarbeit zwischen Leistungsbeziehenden und Integrationsfachkräften.

Mit dem vereinfachten Zugang zur Grundsicherung während der Corona-Pandemie wurden kurzfristig Karenzzeiten beim Vermögen und bei den Kosten der Unterkunft und Heizung geschaffen, die nun verstetigt werden sollen. Auch das begrüßt der SoVD sehr ausdrücklich. Auf diese Weise können sich Leistungsberechtigte voll und ganz – und in ihrem gewohnten Lebensraum – der Aufgabe widmen, gute Arbeit zu finden. Aus Sicht des SoVD wird auf diese Weise noch ein weiteres Problem gelöst: Wenn die Kosten für Unterkunft und Heizung in der tatsächlichen Höhe anerkannt werden, werden Menschen, die mitten in der Energiekrise in den Bürgergeld-Bezug rutschen, vor explodierenden Kosten beim Heizen geschützt.

Der aktuelle Gesetzentwurf sieht jedoch keinerlei Entlastungen für Leistungsbeziehende vor, die nicht von der Karenzregelung profitieren können, weil sie schon zu lange im Leistungsbezug sind. Die Energiekrise wird eine Vielzahl von Nebenkostenabrechnungen produzieren, die die Menschen in der Grundsicherung empfindlich treffen. Diese Menschen profitieren auch nicht von der Anhebung des Schonvermögens – sie können also im Zweifel nicht auf Vermögen zurückgreifen, um ihre Rechnungen zahlen zu können. Im schlimmsten Fall kann das bedeuten, dass sie ein Darlehen aufnehmen müssen, das sie kaum in der Lage sind zurückzuzahlen. Der SoVD drängt daher darauf, dass die Heizkosten – mindestens so lange die Energiekrise anhält – für alle Leistungsbeziehende in voller Höhe anerkannt werden, damit das Existenzminimum in der Grundsicherung gewahrt werden kann. Diese Problematik betrifft die Stromkosten gleichermaßen. Diese werden aktuell über die Regelsätze abgebildet. Der SoVD spricht sich dafür aus, dass diese wie die Warmmiete gesondert gewährt und damit aus dem Regelsatz herausgenommen sowie für die Dauer der Krise in tatsächlicher Höhe anerkannt werden.

Aus Sicht des SoVD ist die Anhebung der Schonvermögensgrenzen zu begrüßen. Im SGB II soll die Grenze bei 15.000 (ehemals max. ca. 10.050 Euro) und im SGB XII bei 10.000 Euro (ehemals 5.000 Euro) liegen. Nicht nachvollziehbar ist jedoch, warum Leistungsbeziehende im SGB XII nach wie vor schlechter gestellt werden als diejenigen im SGB II. Im SGB XII soll zwar endlich ein angemessener PKW bei der Vermögensprüfung nicht mehr Berücksichtigung finden – eine langjährige Forderung des SoVD – im SGB II fällt die Angemessenheitsprüfung für den PKW jedoch gänzlich weg. Gerade vor dem Hintergrund, dass Menschen im SGB XII häufig ihre Hilfebedürftigkeit nicht mehr überwinden können und gleichzeitig mit höheren Kosten im Bereich Gesundheit konfrontiert sind, ist die Ungleichbehandlung für den SoVD nicht nachvollziehbar. Es muss endlich zu einer echten Angleichung zwischen SGB XII und SGB II kommen.

Zusätzlich blickt der SoVD mit Sorge auf diejenigen, die knapp oder mittlerweile auch deutlich über dem Grundsicherungsniveau liegen. Diese Menschen haben ein Einkommen, das aktuell nicht aufgestockt werden muss und das für den Wohngeldanspruch zu hoch ist, aber dennoch kaum reichen dürfte, um die sich abzeichnenden hohen Nebenkostenabrechnungen alleine zu bewältigen. Hier wird es von zentraler Bedeutung sein, welche weiteren Entlastungsmaßnahmen die Bundesregierung auf den Weg bringen und wie vor allem die Wohngeldreform ausgestaltet sein wird. Diese muss aus Sicht des SoVD bis in die Mitte der Gesellschaft reichen. Andernfalls scheint eine vorbeugende Antragsstellung auf Grundsicherungsleistungen oder Wohngeld für viele Menschen notwendig zu sein – ähnlich wie bei der Einführung der Freibeträge in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im Rahmen der Grundrente.

Der SoVD fordert seit langem, dass die Regelsätze neu bemessen werden müssen. Aktuell haben erhebliche methodische Mängel zur Folge, dass Grundsicherungsbeziehende nicht nur ihr Recht auf ein Mindestmaß an sozialer Teilhabe nicht vollumfänglich wahrnehmen können, sondern auch, dass der Kühlschrank am Ende des Monats aufgrund der explodierenden Preise immer öfter leer bleiben muss. Daher fordert der SoVD die Bundesregierung auf, die Ermittlung der Regelsätze – insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Krise – jetzt schnell voranzutreiben und bis zum Inkrafttreten einen Sofortzuschlag beim Regelsatz von monatlich 100 Euro zu gewähren.

Außerdem wäre es zu begrüßen, wenn mit dem Bürgergeld Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Leistungsbeziehenden gezahlt würden, so wie es in der Vergangenheit für das Arbeitslosengeld II schon einmal der Fall war. Dies wäre ebenfalls ein wichtiger Beitrag zur Vermeidung von Altersarmut.

Fortsetzung mit Einschätzung zu den einzelnen Regelungen im PDF