Bis zum 30. Juni 2025 wird die Mindestlohnkommission über die Anpassung der Höhe des gesetzlichen Mindestlohns beraten, eine neue Höhe vorschlagen und anschließend der Bundesregierung ihren fünften Evaluationsbericht über die Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns vorlegen. Im Rahmen der schriftlichen Anhörung hat der SoVD die Gelegenheit, seine Position zum Mindestlohn darzulegen und auf folgende Fragestellungen einzugehen:
- Was ist eine angemessene Höhe des Mindestlohns?
- Welche Auswirkungen hat der gesetzliche Mindestlohn?
- Sind Kontrolle und Durchsetzung des Mindestlohns ausreichend?
- Warum sollte der gesetzliche Mindestlohn auch in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen gelten?
Der SoVD setzt sich für einen armutsfesten Mindestlohn ein. Denn dieser ist die Grundlage für gesellschaftliche Teilhabe, eine gesunde Lebensweise und eine auskömmliche Rente im Alter. Damit hat er auch eine besondere Bedeutung für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.
Gesamtbewertung
Im Jahr 2025 feiert der gesetzliche Mindestlohn sein zehnjähriges Jubiläum und auch zehn Jahre später können wir als SoVD zu dieser wichtigen sozialpolitischen Errungenschaft nur gratulieren: Es ist gut, dass es einen gesetzlichen Mindestlohn gibt und es ist gut, dass über die Höhe regelmäßig in der Mindestlohnkommission entschieden wird. Genauso richtig war es jedoch auch rückblickend, dass es zum 1. Oktober 2022 eine gesetzliche – politisch festgelegte – Anpassung des Mindestlohns von damals 10,45 Euro auf 12 Euro pro Stunde gegeben hat. Die hohe Inflation in den Jahren 2022 und 2023 hat viele Menschen an ihre finanzielle Belastungsgrenze gebracht. Das wirkt heute noch nach.
Die aktuelle Höhe des gesetzlichen Mindestlohns liegt bei 12,82 Euro. Das entspricht nicht dem international anerkannten und in der EU-Mindestlohnrichtlinie festgeschriebenen Referenzwert von 60 Prozent des Bruttomedianeinkommens in Vollzeit. Nach Berechnungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung müsste der Mindestlohn demnach bereits in diesem Jahr bei 15,12 Euro liegen, was wir als SoVD in der Vergangenheit bereits gefordert haben. Denn für den SoVD ist es eines seiner zentralen Anliegen, darauf immer wieder hinzuweisen und für eine angemessene Höhe zu streiten. Das ist deshalb so wichtig, weil Deutschland nach wie vor einen zu großen Niedriglohnsektor hat und es zu viele Menschen gibt, die Löhne unterhalb der Armutsschwelle erhalten und u.a. deshalb auf zusätzliche Sozialleistungen angewiesen sind.
Auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Spaltung in unserer Gesellschaft, die sich sehr deutlich in den Wahlergebnissen der Bundestagswahl 2025 und der vergangenen Landtagswahlen gezeigt hat, wird deutlich, wie wichtig ein armutsfester Mindestlohn ist. Im WSI-Verteilungsbericht 2024 wird der Zusammenhang zwischen Einkommenshöhe und politischer sowie materieller Teilhabe deutlich: „Dass Armut Teilhabe einschränkt, zeigt sich ganz unmittelbar darin, dass es beispielsweise an Gütern des täglichen Bedarfs mangelt und auch für soziale Aktivitäten wie einen Kinobesuch das Geld oft nicht ausreicht. Solche materiellen Mangellagen werden mit einem höheren Einkommen seltener. Allerdings belegen unsere Daten deutlich, dass die Sorge, den Lebensstandard in Zukunft nicht halten zu können, die Mehrheit der Menschen mit einem Einkommen unterhalb des Medians beschäftigt. Vor allem in Anbetracht der Krisen der vergangenen Jahre und der mit der Teuerung einhergehenden Reallohnverluste zeigt sich eine Verunsicherung und Abstiegsangst, die sogar bis in die obere Mitte hineinreicht“. Für alle Menschen einen angemessenen Lohn zu gewähren, ist daher eine der zentralen politischen Herausforderungen. Ein armutsfester Mindestlohn ist dafür ein wichtiger Baustein, wie im weiteren Verlauf der Stellungnahme aufgezeigt wird.
Außerdem ist es aus Sicht des SoVD zwingend notwendig, dass auch Beschäftigte in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) den Mindestlohn erhalten.
Zu den einzelnen Fragestellungen
Was ist eine angemessene Höhe des Mindestlohns?
Der SoVD begrüßt es ausdrücklich, dass sich die Mindestlohnkommission im Januar 2025 in ihrer Geschäftsordnung darauf verständigt hat, dass sie sich zur Festsetzung des Mindestlohns im Rahmen einer Gesamtabwägung „nachlaufend an der Tarifentwicklung sowie am Referenzwert von 60 % des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten“ orientieren wird. Denn dabei handelt es sich um einen international anerkannten Wert, der auch aus Sicht des SoVD dazu geeignet ist, einen armutsfesten Mindestlohn festzulegen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW) definiert das Medianeinkommen als das Einkommen, „bei dem es genauso viele Menschen mit einem höheren wie mit einem niedrigeren Einkommen gibt. Würde man die Bevölkerung nach der Höhe ihres Einkommens sortieren und dann zwei gleich große Gruppen bilden, würde die Person, die genau in der Mitte dieser Verteilung steht das Medianeinkommen beziehen“. Gleichzeitig wird die Armutsschwelle bei 60 Prozent des Medianeinkommens definiert, weshalb der oben genannte Referenzwert für einen armutsfesten Mindestlohn zweckmäßig ist. Zukünftige Mindestlohnanpassungen sollten sich immer an diesem Referenzwert orientieren. Dies muss daher auch im Mindestlohngesetz festgeschrieben werden.
Bisherige Mindestlohnanpassungen haben diesen Referenzwert stets nicht erreicht. So macht der WSI-Mindestlohnbericht 2025 deutlich, dass die bisherigen Anpassungen der Mindestlohnkommission „lediglich die Kaufkraftverluste durch die Inflation ausgeglichen [hätten]. Gegenüber dem Niveau bei seiner Einführung ist der Mindestlohn in Deutschland deshalb in den vergangenen zehn Jahren real nur um rund 15 % gestiegen“. Im WSI-Verteilungsbericht 2024 wird deutlich, warum das zu wenig ist: „In der materiellen Teilhabe der Menschen in Deutschland gibt es einen starken sozialen Gradienten: Für Menschen in Armut stehen unmittelbare materielle Mangellagen im Vordergrund. Diese Gruppe ist nicht nur seit 2010 größer geworden, sie ist zudem im Verhältnis zur gesellschaftlichen Mitte noch ärmer geworden. Dies zeigt sich etwa daran, dass reale Einkommenszuwächse hier niedriger waren als für höhere Einkommensgruppen. (…) Diese Zahlen beziehen sich fast komplett auf den Zeitraum vor der Covid-19-Pandemie und damit auf einen Zeitraum, der von einer sehr guten wirtschaftlichen Lage und einer geringen Arbeitslosigkeit gekennzeichnet war. Aber selbst in einer solchen Phase wirtschaftlicher Prosperität ist es nicht gelungen, die Armutsquoten zu senken“.
Deshalb ist es unerlässlich, dass sich künftige Mindestlohnanpassungen immer an dem Referenzwert von 60 Prozent des mittleren Bruttoeinkommens in Vollzeit orientieren. Demnach müsste der Mindestlohn in diesem Jahr nach Berechnungen des WSI bei 15,12 Euro und nach Berechnungen des DGB im Jahr 2026 bei 15,27 Euro liegen. Damit kommt die Mindestlohnkommission aus unserer Sicht nicht daran vorbei, eine Höhe oberhalb von 15 Euro pro Stunde vorzuschlagen. Sollte dies nicht der Fall sein, so fordert der SoVD eine erneute politische Anhebung. Dies sollte auch Gegenstand der anstehenden Koalitionsverhandlungen sein.
Zusätzlich ist es aus Sicht des SoVD wichtig – und das hat die hohe Inflation in den vergangenen Jahren mehr als deutlich gezeigt – dass die Mindestlohnkommission auch außerhalb des festgelegten zweijährigen Turnus die Möglichkeit hat, eine neue Höhe des Mindestlohns vorzuschlagen, um auf Krisen adäquat reagieren zu können. Nur so kann den Menschen ein armutsfester Lohn garantiert werden. Hätte es die politische Anpassung von 2022 nicht gegeben, hätten noch mehr Menschen ihre finanzielle Grundlage verloren und wären in die Grundsicherung gedrängt worden.
Welche Auswirkungen hat der gesetzliche Mindestlohn?
Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns im Jahr 2015 war ein sozialpolitischer Meilenstein. Der gesetzliche Mindestlohn hat positive Auswirkungen auf die Beschäftigten, die einen höheren Lohn erhalten, auf die Unternehmen, die dadurch zufriedenere Beschäftigte haben und auf den Sozialstaat, der durch höhere Löhne bei den Sozialleistungen spart. Gleichzeitig fließt mehr Geld in die Sozialversicherungen. All diese positiven Auswirkungen haben sich in den vergangenen zehn Jahren nicht verändert, auch nicht mit der politischen Anhebung auf 12 Euro pro Stunde.
Dabei lässt sich ein besonders positiver Effekt auf die Beschäftigung von Frauen nachweisen: „Bisherige Forschungsergebnisse zu den nach Geschlecht unterschiedlichen Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns zeigen, dass die Effekte auf Verdienste von Frauen stärker ausfielen, sodass es zu einer Reduzierung von Geschlechterungleichheiten kam. Dies gilt für Stundenlöhne und für monatliche Bruttoverdienste. Effekte auf die Stundenlöhne von direkt vom Mindestlohn betroffenen Frauen und Männern fielen ähnlich hoch aus. Allerdings profitierten Frauen häufiger vom Mindestlohn, sodass deren durchschnittliche Stundenlöhne stärker stiegen“. Ein ähnlicher Effekt lässt sich auch für die Löhne in Ost- und Westdeutschland zeigen. So haben vor allem Beschäftigte in den Neuen Bundesländern besonders von der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns bzw. von den Anpassungen profitiert.
Darüber hinaus wurde mit dem gesetzlichen Mindestlohn nicht nur eine untere Haltelinie bei der Entlohnung eingezogen, sondern das gesamte Lohngefüge angehoben. Gleichzeitig kann festgehalten werden, dass der gesetzliche Mindestlohn dafür gesorgt hat, dass sich der Lohnabstand zwischen Gering- und Besserverdienenden verringert hat. „So erhielten Besserverdienende (obere 10 % der Lohnskala) im April 2024 das 3,00-Fache des Bruttostundenverdienstes von Geringverdienenden (untere 10 % der Lohnskala), im April 2014 war es noch das 3,48-Fache.“
Der gesetzliche Mindestlohn hat auch dazu beigetragen, dass sich der Niedriglohnsektor in Deutschland verkleinert hat: „Im April 2023 arbeitete noch knapp jeder sechste Beschäftigte (16 Prozent) im Niedriglohnsektor. Zwischen 2013 und 2017 hatte diese Quote bei 23 Prozent gelegen – in den Folgejahren sank sie immer weiter“. Der Niedriglohnsektor konnte damit jedoch nicht vollständig trockengelegt werden und auf die Armutsquote – auch mit Blick auf eine hohe Teilzeitbeschäftigungsquote gerade bei Frauen – hat sich der Mindestlohn daher nicht ausreichend positiv ausgewirkt. Hier bleibt mit Blick auf die Höhe noch einiges zu tun.
Sind Durchsetzung und Kontrolle des Mindestlohns ausreichend?
Ein wichtiger Aspekt zur Durchsetzung und Kontrolle des Mindestlohns sind Transparenz und das Wissen um die aktuelle Höhe. Ebenso hilfreich ist eine starke Mitbestimmung in den Betrieben. Betriebsräte können erste Anlaufstellen sein, wenn Beschäftigte den Verdacht haben, unterhalb des Mindestlohns bezahlt zu werden.
Gleichzeitig ist es Aufgabe der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) des Zolls, anlassbezogen und verdachtsunabhängig Unternehmen auf die Einhaltung des Mindestlohns zu kontrollieren. Dabei sieht sich die FKS laut dem Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen zunehmenden Kontrollschwierigkeiten ausgesetzt, „die sich oftmals auf eine zunehmende Fragmentierung von Unternehmen durch die Auslagerung vieler Tätigkeiten aus den Unternehmen in unübersichtliche Subunternehmerketten und in der wachsenden Heterogenität von Beschäftigungsformen zurückführen lassen. In fragmentierten Unternehmen bleibt oft unklar, wer eigentlich der für die Arbeitsbedingungen verantwortliche Unternehmer ist. Die Aufspaltung der Unternehmen erhöht den Aufwand für externe Kontrollen um ein Vielfaches, weil nicht nur der eigentliche Arbeitgeber identifiziert werden muss, sondern auch, welche spezifischen Regelungen für die jeweiligen Unternehmen gelten“. Eine Rückkehr zu geordneten Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt – wie es der SoVD immer wieder fordert - kann damit auch positive Effekte auf die Kontrolle und Einhaltung des Mindestlohns haben und sollte daher auch in diesem Zusammenhang von der Politik mit bedacht werden.
Wie in der SoVD-Stellungnahme aus dem Jahr 2023 angeregt, bleibt des Weiteren eine fälschungssichere Arbeitszeiterfassung für die bessere Einhaltung des Mindestlohns notwendig. Gleiches gilt für die Umwandlung der Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Denn Minijobs sind allzu oft das Einfallstor für die Umgehung des Mindestlohns.
Warum sollte der gesetzliche Mindestlohn auch in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) gelten?
Bei allen Fragen rund um den Mindestlohn möchten wir darauf hinweisen, dass Menschen mit Behinderungen, die in sogenannten Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) beschäftigt sind, auch in den Blick genommen werden müssen. Dass eine Verbesserung der Entgeltsituation für Beschäftigte in Werkstätten erfolgen soll, wird seit Langem diskutiert. Die Zahlung eines angemessenen Lohnes gebietet nicht zuletzt Art. 27 der UN‑Behindertenrechtskonvention.
Derzeit beruhen die individuellen Arbeitsentgelte auf einem Drei‑Komponenten‑System, das aufgrund seiner Intransparenz und geringen Entgelthöhe kritisiert wird. Aus dem Arbeitsergebnis der Werkstätten wird ein Grundbetrag sowie ein individuell bemessener und im Werkstattvertrag festzuhaltender Steigerungsbetrag gezahlt. Zudem erhalten die Beschäftigten aus Bundesmitteln ein Arbeitsförderungsgeld von bis zu 52 Euro, welches das Arbeitsentgelt bis auf 351 Euro aufstocken kann. Abhängig von der Wirtschaftlichkeit der Werkstätten und der Leistungsfähigkeit des Beschäftigten können die individuellen Arbeitsentgelte variieren, liegen im Schnitt jedoch mit 226 Euro pro Monat deutlich unter dem gesetzlichen Mindestlohn.
Aufgrund dieser niedrigen Entlohnung wird eine Zahlung des Mindestlohns auch in Werkstätten ins Spiel gebracht. Dies ließe sich damit begründen, dass weder dem Wortlaut des Geltungsbereiches nach § 22 des Mindestlohngesetzes (MiLoG) noch dem Willen des Gesetzgebers Hinweise zu entnehmen sind, die explizit auf einen Ausschluss von WfbM-Beschäftigten vom Geltungsbereich des Mindestlohngesetzes deuten. Werkstatt-Beschäftigte könnten daher einen Anspruch auf den Mindestlohn aus § 1 Abs. 1 des Mindestlohngesetzes haben. Auch wenn das Mindestlohngesetz bei WfbM-Beschäftigten derzeit keine Anwendung findet, können deren Beschäftigte bei der Diskussion um die Zahlung/Erhöhung des Mindestlohnes nicht außer Acht gelassen werden, da zumindest nicht ausgeschlossen ist, dass dieser auf Werkstatt-Beschäftigte Anwendung finden muss.
Berlin, 10. März 2025
DER VORSTAND
Abteilung Sozialpolitik