Die COVID-19-Pandemie hat „wie unter einem Brennglas“ deutlich gemacht, wie fragil Hilfen und Unterstützung für Familien sind bzw. in Krisenzeiten schnell werden können. Das gilt in ganz besonderer Weise, wenn keine begleitenden Dienste oder Einrichtungen flankierend bereitstehen und die Interessen der betroffenen Menschen mit Behinderungen bzw. mit Pflegebedarf (im Folgenden: „Betroffene“) stellvertretend mit einfordern können. Aus unserer Mitgliedschaft haben wir vielfältige Rückmeldungen erhalten, wie überfordert überlastet und alleingelassen sich die Betroffenen und ihre Familien gefühlt haben bzw. weiterhin fühlen.
1. Erschwerter Zugang zu Schutzausrüstungen für Betroffene und ihre Familien
Beim Zugang zu Masken, Schutzausrüstung, Desinfektionsmitteln etc. fanden die Interessen von Krankenhäusern und anderen Gesundheitsdiensten enorme Unterstützung durch das BMG. Nachfolgend konnten auch Einrichtungen der Behindertenhilfe und Pflegeheime ihre Bedarfe platzieren. Sie fanden politisches Gehör und ggf. auch Unterstützung bei der Beschaffung. Hintenan beim „Wettlauf um Schutzausrüstung“ standen dagegen Familien, die die Pflege und Betreuung ihrer pflegedürftigen oder behinderten Angehörigen privat schultern mussten. Ihre Bedarfe wurden nicht strukturell unterstützt. Sie waren und sind bei der Beschaffung weitgehend auf sich selbst gestellt. Zugleich waren sie mit erheblichen Mehrkosten durch die Beschaffung konfrontiert.
Der SoVD regt vor diesem Hintergrund an, Strukturen zu schaffen, die die Familien gerade in Krisensituationen bei der Beschaffung unterstützen und Bündelungen ermöglichen. Sie könnten z.B. bei den Pflegestützpunkten oder den Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatungsstellen angedockt werden. Die Kosten für notwendige Schutzausrüstung etc. dürfen nicht auf die Betroffenen und ihre Familien abgewälzt werden.
2. Defizite zum Zugang zu unterstützenden Diensten für Betroffene und ihre Familien
Für die betroffenen Menschen und ihre Familien brachen mit der COVID-19-Pandemie zahlreiche ambulante Unterstützungsstrukturen und Hilfen weg. Viele ambulante Tagespflegeeinrichtungen schlossen, Werkstätten durften nicht mehr betreten werden, 24-Stunden-Pflegekräfte reisten in großer Eile zurück in ihr Heimatland.
In der Krise blieben die Betroffene und ihre Familien plötzlich ganz auf sich allein gestellt, sozialstaatliche Unterstützung brach in großem Maße ersatzlos weg. Anders als für Menschen, die in Einrichtungen leben, fehlten für pflegebedürftige Menschen und Menschen mit Behinderungen in der eigenen Häuslichkeit plötzlich in großem Ausmaß externe Hilfen. Die Familien wurden zum „Ausfallbürgen“ sozialstaatlicher Leistungen.
Die Krise machte auch deutlich, wie fragil ambulante Hilfen sein können, wenn eine Pflege- und Assistenzperson wegen einer COVID-19-Erkrankung ausfällt. Die betroffenen Menschen und ihre Angehörigen sind hier nicht nur physisch, sondern auch psychisch großen Belastungen ausgesetzt, da sie auf die Unterstützung und Hilfen existenziell angewiesen sind. Zusätzlich belastet wird die Situation, wenn wegen der Pflege und Betreuung eine berufliche Tätigkeit nicht mehr möglich ist und Gehaltseinbußen drohen.
Die außerordentlichen Belastungssituationen in den Familien wurde bzw. wird in der politischen Diskussion leider nur unzureichend aufgegriffen; Entlastungen werden nur stückweise und oft erst nach längeren Zeiträumen auf den Weg gebracht.
Eine finanzielle Anerkennung der Leistungen in den Familien in der Krise, z.B. durch pflegende Angehörige, wird nicht diskutiert. Zumindest wäre es dringend erforderlich, subsidiäre Hilfesysteme zu diskutieren, wie bei Wegfall externer Hilfen den Betroffenen und ihren Familien gleichwohl sozialstaatliche Hilfe und Unterstützung vermittelt werden kann (z.B. kommunale Anlaufstelle und „Notfallpool“ für pflegerische Unterstützung oder Assistenz).
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