Die Situation in der deutschen Automobilindustrie ist alarmierend. Viele Unternehmen kündigen nach sehr erfolgreichen Jahren mit Rekordgewinnen wegen aktueller Probleme im Wettbewerb Personalabbau und Standortschließungen an. Fehlgeleitete unternehmerische Entscheidungen und eine verschleppte Transformation zur Elektromobilität dürfen jetzt nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden. Dies gefährdet auch die Akzeptanz für die dringend notwendige Mobilitätswende.
Eine sozialverträgliche Mobilitätswende braucht auch eine zukunftsgerichtete deutsche Automobilindustrie. Gleichzeitig gibt es eine gute Zukunft für die Industrie nur mit einem ökologischen Umbau. Die Transformation industrieller Arbeit und Wertschöpfung kann nur erfolgreich sein, wenn die Politik einen klaren Rahmen setzt und gemeinsam mit den Unternehmen den Wandel aktiv gestaltet.
Das Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende sieht dringenden Handlungsbedarf:
1. Unternehmen müssen Modellpolitik anpassen und Standorte erhalten.
Es wurde versäumt, erschwingliche und ressourcensparende E-Fahrzeuge auf den Markt zu bringen. Durch diese verfehlte Modellpolitik der Unternehmen bleiben die Absatzzahlen hinter den Erwartungen zurück, und Standorte sind nicht ausgelastet. Besonders die deutschen und die in Deutschland produzierenden Hersteller müssen dieses Marktsegment gegen die asiatische Konkurrenz behaupten. Das ist eine Investition in ihre Zukunft. Insbesondere kleinere und für alle Einkommensschichten erschwingliche Fahrzeugmodelle müssen in Europa produziert werden.
Teilweise werden Standorte hierzulande geschlossen und Werke im Ausland neu aufgebaut, wo geringere Umwelt- und Sozialstandards gelten sowie niedrigere Steuern und Löhne gezahlt werden. Das Bündnis spricht sich ausdrücklich gegen ein solches Vorgehen aus. Es gefährdet massiv den Rückhalt in Bevölkerung und Belegschaften für die dringend notwendige Transformation und verlagert Probleme, statt sie zu lösen.
2. Politik muss kurzfristig unterstützen.
Statt immer wieder neu über gesetzte Klimaschutzvorgaben zu diskutieren oder technologische Scheinlösungen wie E-Fuels zu propagieren, muss die Politik einen verlässlichen Rahmen gewährleisten. Die Industrie braucht Planungssicherheit.
Es braucht klare Wegweiser für den Wandel in der Automobilindustrie,, die sowohl die Mobilitätswende, bezahlbare Flotten und Klimaschutz beschleunigen, als auch verunsicherten oder enttäuschten Beschäftigten eine Perspektive bieten:
- Eine stärkere CO2-Orientierung steuerlicher Instrumente im KfZ-Bereich fördert den Verkauf verbrauchs- und emissionsarmer Fahrzeuge. Die staatliche Förderung sollte zudem auch am produktions- und transportbedingten CO2-Fußabdruck ausgerichtet werden.
- Ein soziales Leasing Programm kann ergänzend zum dringend notwendigen Ausbau des ÖPNV im ländlichen Raum E-Mobilität für breitere Bevölkerungsschichten zugänglich machen. Eine solche Förderung sollte, ähnlich dem Beispiel Frankreichs, an sozialen und ökologischen Kriterien ausgerichtet werden, ohne auf Erwerbstätige beschränkt zu sein. Zudem sollte sie nur für Fahrzeuge gewährt werden, die in Europa hergestellt werden. Parallel dazu ist die Wiederaufnahme von weiteren und ergänzenden Förderprogrammen sinnvoll, etwa für den Kauf von E-Autos für soziale Einrichtungen und Dienste oder zum Kauf von E-Bussen.
- Ein neues Programm für eineflächendeckende Ladeinfrastruktur: Der Aufbau der Ladeinfrastruktur muss besonders in ländlichen Regionen sowie für Haushalte mit geringem Einkommen unterstützt werden, sodass weite Teile der Bevölkerung vom Antriebswechsel profitieren. Es braucht zwingend verbindliche Vorgaben für den barrierefreien Auf- und Ausbau der Ladeinfrastruktur sowie einfachere Genehmigungsprozesse.
3. Zentrale politische Aufgaben für die nächste Legislatur
Für mehr Sicherheit und langfristige, positive Perspektiven für die Automobilindustrie und die zahlreichen Beschäftigten sollte die neue Bundesregierung die folgende Agenda prioritär verfolgen:
- Neue Wertschöpfung und Beschäftigung ermöglichen: Durch aktive Industriepolitik zur Ansiedlung neuer Schlüsselbereiche, Transformationsfonds für kleine und mittelständische Unternehmen sowie den Erhalt von Standorten müssen betroffene Regionen und die Zulieferindustrie bei der Transformation unterstützt werden.
- Weiterbildung intensivieren: Vorhandene Instrumente müssen aktiv eingesetzt und Möglichkeiten zur Qualifizierung stetig weiterentwickelt werden. Ziel muss eine nahtlose Beschäftigung mit vollem Rentenanspruch sein.
Die notwendige Transformation des Mobilitätssystems kann in ihrer Gesamtheit nur dann gelingen, wenn neben Schlüsselbereichen wie der Finanzierung und dem Ausbau von Schiene und ÖPNV, der Verlagerung von Gütern und der Umgestaltung städtischer Verkehrsräume auch die deutsche Automobilindustrie ihr Potenzial im Bereich nachhaltiger Mobilität ausschöpft und sich sozial, innovativ und zukunftsgerichtet aufstellt. Als geeinte Stimme aus Gewerkschaften,
Sozial-, Wohlfahrts- und Umweltverbänden sowie der Evangelischen Kirche in Deutschland spricht sich das Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende daher ausdrücklich für eine aktiv gestaltete Transformation der Automobilwirtschaft aus und kritisiert, dass statt der überfälligen Entwicklung zukunftsgerichteter und langfristiger Strategien die Debatte von kurzfristigen Nebelkerzen verzerrt wird.
Die ausführliche Position des Bündnisses sozialverträgliche Mobilitätswende kann im Positionspapier (2023) nachgelesen werden. Das Papier beschäftigt sich mit einem wichtigen Teilaspekt einer sozialen und ökologischen Mobilitätswende. Die Handlungsempfehlungen des Bündnisses zu anderen zentralen Themen finden Sie hier.
Das Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende bündelt die Expertise aus Gewerkschaften (IG Metall, ver.di, DGB), Sozial-, Wohlfahrts- und Umweltverbänden (VdK, SoVD, AWO, VCD, BUND, NABU) sowie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), um zusammen die Transformation der Mobilität in Deutschland zu unterstützen. Gemeinsam vertritt das Bündnis viele Millionen Mitglieder und bietet eine Plattform für die Fragestellungen rund um eine soziale und ökologische Mobilitätswende. Das Bündnis wird gefördert und unterstützt durch die Stiftung Mercator.