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Funktionsfähigkeit der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit

Grundsicherung

Stellungnahme zur Formulierungshilfe eines Gesetzes zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Arbeits-und Sozialgerichtsbarkeit während der COVID 19-Epidemie sowie zur Änderung weiterer Gesetze (COVID-19 ArbGG/SGG-AnpassungsG)

1.Zusammenfassung des Gesetzesentwurfs

Mit der Formulierungshilfe für ein Gesetz zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit während der COVID 19-Epidemie sowie zur Änderung weiterer Gesetze soll die Funktionsfähigkeit der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit gewährleistet werden, indem beispielsweise unter bestimmten Voraussetzungen auch Video- und Telefon-konferenzen ermöglicht werden sollen. Dies soll auch für die Mindestlohnkommission gelten.

Mit Änderungen des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, des Asylbewerberleistungsgesetzes sowie des Bundesversorgungsgesetzes soll sichergestellt werden, dass Schülerinnen und Schüler sowie Kinder, die eine Tageseinrichtung besuchen oder für die Kindertagespflege geleistet wird, auch bei pandemiebedingten Schließungen dieser Einrichtungen weiterhin mit Mittagessen im Rahmen des Bildungspaketes versorgt werden können. 

Des Weiteren wird das Gesetz über den Einsatz der Einrichtungen und sozialen Dienste zur Bekämpfung der Coronavirus SARS-CoV-2 Krise in Verbindung mit einem Sicherstellungsauftrag (Sozialdienstleister-Einsatzgesetz- SodEG) nachgebessert. Unter anderem sollen Leistungsträger der Gesetzlichen Krankenversicherung in das SodEG einbezogen werden, soweit diese Leistungen der interdisziplinären Früherkennung und Frühförderung erbringen. Damit wird das Ziel verbunden, den Bestand der interdisziplinären Frühförderstellen zu sichern. Außerdem soll die Möglichkeit einer Evaluierung des SodEG gesetzlich geregelt werden. 

Mit Sonderregelungen im Sechsten und Siebten Buch Sozialgesetzbuch sowie im Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte soll außerdem sichergestellt werden, dass Waisenrenten auch dann (weiter-)gezahlt werden, wenn bedingt durch die COVID-19-Pandemie Ausbildungen und Freiwilligendienste später als üblich beginnen. Im Siebten Buch Sozialgesetzbuch soll zudem die Feststellungsfrist von drei Jahren für Dauerrenten um die Dauer der Krise verlängert werden. 

2.Gesamtbewertung

Der Gesetzentwurf ist aus Sicht des SoVD grundsätzlich zu begrüßen. Gerade in der aktuellen Zeit – in der Arbeitslosigkeit droht und Unsicherheiten in Bezug auf das Einkommen und die soziale Sicherung herrschen –ist es wichtig, dass die Arbeits- und Sozialgerichte arbeitsfähig bleiben und auch im Bereich der Digitalisierung mit gutem Beispiel vorangehen. Das Gleiche gilt auch für die Mindestlohnkommission, deren Handlungs- und Beschlussfähigkeit unter bestimmten Voraussetzungen über Video-konferenzen ermöglicht werden soll.

Zu begrüßen ist aus SoVD-Sicht grundsätzlich auch, dass Schülerinnen und Schüler sowie Kinder, die eine Tageseinrichtung besuchen oder für die Kindertagespflege geleistet wird, auch bei pandemiebedingten Schließungen dieser Einrichtungen weiterhin im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepaketes mit Mittagessen versorgt werden sollen. Hier hatte der SoVD bereits in vergangenen Stellungnahmen Verbesserungen angeregt. Eine Regelung über einen coronabedingten Mehrbedarf wäre hier aus SoVD-Sicht jedoch zielgerichteter. Hierfür könnte die im Gesetzesentwurf getroffene Mittagessen-Regelung für Menschen mit Behinderungen, z.B. Beschäftigten in Werkstätten, Richtschnur sein.

Mit der Formulierungshilfe für ein Gesetz zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit während der COVID 19-Epidemie sowie zur Änderung weiterer Gesetze werden aus Sicht des SoVD wichtige Besserungen erzielt. An einigen Stellen müssen aus SoVD-Sicht jedoch Anpassungen vorgenommen und über den Gesetzesentwurf hinausgehende Regelungen getroffen werden.

3. Zu einzelnen Regelungen

Zu Artikel 3: Sozialgerichtsbarkeit

SoVD-Bewertung: Es ist nachvollziehbar, dass man auch in Zeiten der Einschränkungen aufgrund der Pandemie versucht, das sozialgerichtliche Verfahren aufrecht zu erhalten und entsprechend anzupassen.

Bedauerlich ist allerdings, dass man versäumt hat, verfahrensrechtlichen Fristen für die Kläger*innen zu verlängern oder eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (z.B. mit einer gesetzlichen Vermutung fehlenden Verschuldens in § 27 SGB X und § 67 SGG) zu vereinfachen. Denn verlängerte Postlaufzeiten während der aktuellen Krise sind uns als Verband bereits bekannt geworden.

Zu den Artikeln 6, 11, 12 und 16: Mittagessensverpflegung

In Art 6, 11, 12 und 16 wird bestimmt, dass Schüler*innen und Kinder, die eine Tageseinrichtung besuchen oder für die Kindertagespflege geleistet wird, trotz der coronabedingten Schließung dieser Einrichtungen weiterhin unter bestimmten Voraussetzungen mit Mittagessen im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets versorgt werden. Dies soll für Aufwendungen für Schließtage von Montag bis Freitag in der Zeit vom 1. März bis 31. August 2020 gelten. Voraussetzung ist, dass die Kosten für das Essen nicht höher sind als zuvor (als die Verpflegung noch in den Einrichtungen gewährleistet werden konnte) und die Belieferung von einem vom kommunalen Träger anerkannten Caterer übernommen wird. Diese Regelung wird für das Asylbewerberleistungsgesetz, das Bundesversorgungsgesetz und im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch getroffen.

Art 16 Nr. 2 (§ 142 Abs. 2 SGB XII-NEU) bestimmt, dass Personen mit Behinderung, für die bis Februar 2020 ein Mehrbedarf wegen gemeinschaftlicher Mittagsverpflegung nach § 42 b Abs. 2 SGB XII berücksichtigt wurde, dieser Mehrbedarf auch für die Zeit vom 1. März bis 31. August 2020 in unveränderter Höhe anerkannt wird, unabhängig davon, wie das Mittag-essen eingenommen wird. 

SoVD-Bewertung: Aus SoVD-Sicht ist zu begrüßen, dass der Gesetzgeber Regelungen anstrengt, um durch die pandemiebedingte Schließung von Einrichtungen Ersatzleistungen für das ausfallende Mittagessen im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets zu schaffen. Ein grundsätzliches Problem bei der getroffenen Regelung betrifft die Kosten des Vorhabens: Die Sammellieferung einer Großküche fällt schon wegen der Lieferkosten preislich anders aus, als die Lieferung eines Mittagessens an Einzelpersonen nach Hause. Hinzu kommt, dass die Großküchen vor der Schließung der Einrichtungen, nicht nur Leistungsberechtigten Essen zubereitet haben, sondern auch weitere Kinder Mittagessen der Kantine in Anspruch genommen haben, deren Eltern für die Kosten aufkommen konnten (und die nicht auf Sozialleistungen angewiesen sind). Die Kosten für das Mittagessen wird aller Voraussicht nach in den Großküchen steigen, weil nicht die gleichen Mengen produziert werden (durch den Wegfall der Mittagessen weiterer Schüler*innen). Die häusliche Belieferung erhöht die Kosten weiter. 

Äußerst kritisch bewertet der SoVD, dass Leistungsbeziehende zunächst für das Mittagsessen selbst aufkommen müssen und die Aufwendungen erst im Anschluss unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt werden können. Zum einen stellt für einkommensschwache Haushalte, die Grundsicherungsleistungen beziehen müssen, die Vorkassen-Leistung schon eine enorme finanzielle Hürde dar. Der SoVD kritisiert seit langer Zeit, dass die Regelsätze auf ein existenzsicherndes Niveau angehoben werden müssen. Nun sollen aus den ohnehin zu niedrigen Regelsätzen, die in der aktuellen Krise durch gestiegene Lebensmittelpreise und weitere Mehrbedarfe weit überbeansprucht werden, zusätzlich die Kosten für das Mittagessen der Kinder vorerst getragen werden. 

Zum anderen kommt hinzu, dass Leistungsbeziehende keine Sicherheit haben, dass die Kosten tatsächlich übernommen werden. Richtlinie ist hier im aktuellen Gesetzestext der zuvor für die gemeinschaftliche Mittagsverpflegung anerkannte Preis. Dieser dürfte nicht allen Leistungsbeziehenden ersichtlich sein, da Kindern das Mittagessen als Sachleistung über das Bildungs- und Teilhabepaket gewährt wurde. Die Zugangsprämisse, dass die Belieferung durch den jeweiligen kommunalen Träger bestimmten oder anerkannten Caterer erfolgen muss, dürfte viele Kinder von Sozialverband Deutschland der vorgesehenen Leistung ausschließen, da dies voraussetzt, dass der kommunale Träger entsprechende Entscheidungen trifft. Es bleibt offen, ob das jedem kommunalen Träger in der aktuellen Situation überhaupt möglich ist. Unklar ist in der aktuellen Fassung des Gesetzestextet außerdem, wie zu verfahren ist, wenn die Aufwendungen den anerkannten Preis je Essen übersteigen. Das kann für Leistungsbeziehende entweder bedeuten, dass sie auf den Mehrkosten sitzen bleiben oder die Aufwendungen gänzlich nicht anerkannt werden. Hier sind Nachbesserungen im Gesetzestext dringend angezeigt.

Anders als bei der Mittagessen-Regelung für Schüler*innen und Kinder, die eine Tageseinrichtung besuchen oder für die Kindertagespflege geleistet wird, und vormals im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets Mittagessen als Sachleistung erhalten haben, ist die Neuregelung beim Mittagessen für beispielsweise Werkstattbeschäftigte aus SoVD-Sicht sachgerecht. Zu ihren Gunsten können Mehrbedarfe für gemeinschaftliches Mittagsessen auch dann gewährt werden, wenn pandemiebedingt bestimmte Voraussetzungen nicht erfüllt werden können, d.h. konkret das Essen nicht gemeinschaftlich stattfinden kann bzw. die Mittagsverpflegung nicht in Verantwortung des Leistungsanbieters (der WfbM) erbracht wird. Durch die Übergangsregelung bleibt der Mehrbedarfsanspruch der Betroffenen erhalten. Dies ist ausdrücklich zu begrüßen.

Der SoVD spricht sich dafür aus, dass auch für Kinder und Jugendliche, die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets in Anspruch nehmen und aktuell aufgrund der Schließung der Einrichtungen auf ein Mittagessen verzichten müssen, coronabedingt eine ähnliche Übergangs-Mehrbedarfs-regelung eingeführt wird. Sie käme Leistungsbeziehenden unmittelbar zu-gute und die weiter oben angeführten Problemlagen würden vermieden. Dies wäre auch ein erster und wichtiger Schritt in Richtung bedarfsdeckender Leistungen.

Weitergehende Forderung:

Der Koalitionsausschuss hat in der Nacht zum 23. April 2020 beschlossen, Schulen mit 500 Millionen Euro bei der Digitalisierung zu unterstützen. Bedürftige Schüler*innen soll ein Zuschuss von 150 Euro gewährt werden, damit sie mit dem notwendigen technischen Equipment (z.B. einem Laptop oder einem Tablet) für das Homeschooling ausgestattet werden können. Der Zuschuss soll über die Schulen ausgezahlt werden. Der SoVD begrüßt, dass die Bundesregierung den Herausforderungen beim Homeschooling für einkommensschwache Familien mit diesem Beschluss Rechnung tragen will und Zuschüsse für die technische Ausrüstung vorsieht.

Aus SoVD-Sicht reichen 150 Euro jedoch nicht aus, um die notwendigen technischen Grundvoraussetzungen für das Homeschooling zu schaffen. Notwendig sind neben einem Laptop/Tablet, ebenso Drucker, ggf. Headset und eine funktionierende (Handy)Kamera, um Hausaufgaben scannen und Lehrer*innen schicken zu können. Die Isolationsmaßnahmen und Kontaktbeschränkungen betreffen und belasten Kinder und Jugendliche in besonderem Maße. Internetfähige technische Geräte sind daher für die gesellschaftliche Teilhabe in Corona-Zeiten neben dem Zweck, die Voraussetzung für Homeschooling zu schaffen, von zentraler Bedeutung.

Der SoVD regt im Rahmen dieses Gesetzesentwurfs daher an, das Bildungs- und Teilhabepaket weiteren Änderungen hinsichtlich der technischen Ausstattung für Schüler*innen zu unterziehen. Hierfür sind § 28 SGB II, § 34 SGB XII, § 6b Bundeskindergeldgesetz entsprechend zu modifizieren. Eine Regelung über das Bildungs- und Teilhabepaket hätte auch den Vorteil, dass nicht mehr die Schulen, sondern die entsprechenden Leistungsträger zuständig wären.

Zu den Artikeln 13 und 14: Sonderregelungen im Bereich Rente

In den Artikeln 13 und 14 werden Sonderregelungen im Sechsten und Siebten Buch Sozialgesetzbuch sowie im Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte festgeschrieben. Diese sollen sicherstellen, dass Waisenrenten auch dann (weiter-) gezahlt werden, wenn wegen der Corona-Krise eine Ausbildung oder ein Freiwilligendienst nicht angetreten werden kann oder die Übergangszeit von vier Monaten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten (oder auch Ausbildung und Arbeit) überschritten werden sollte. Außerdem wird die Feststellungsfrist von drei Jahren für Dauerrenten in der gesetzlichen Unfallversicherung um die Dauer der Krise verlängert.

SoVD-Bewertung: Diese Regelung ist insgesamt zu begrüßen. Hier wurden jedoch die Erwerbsgeminderten übersehen, welche aufgrund der Pandemie aktuell verzögert oder gar nicht begutachtet werden und so aus der versicherungsrechtlichen Frist fallen und dauerhaft nicht mehr in die Erwerbsminderungsrente der gesetzlichen Rentenversicherung kommen. Hinzu kommt, dass Erwerbsminderungsrentner*innen und solche, die gerade eine Erwerbsminderungsrente beantragen, häufig zur Risikogruppe gehören und ihnen damit der Gang zum/zur Gutachter*in ohnehin erschwert wird. Außerdem waren die Verfahren auch in der Vergangenheit schon sehr langwierig.

Um eine Erwerbsminderungsrente zu erhalten, muss man in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit geleistet haben. Der Eintritt der Erwerbsminderung wird häufig erst mit der Begutachtung festgestellt. Eine rückwirkende Feststellung kommt eher selten vor, denn ein Gutachten wird ja gerade bei unklarer Aktenlage eingeholt.

Vor diesem Hintergrund regt der SoVD eine kurze Ergänzung in § 43 Abs. 4 SGB VI durch eine neue Nr. 5 an.

Vorschlag zu § 43 Abs. 4 SGB VI:

Der Zeitraum von 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.– 4. …

„5. um den Zeitraum der durch das Coronavirus SARS-CoV2 versursachten pandemischen Lage von nationaler Tragweite, wenn die Erwerbsminderung deshalb nicht in 2020 oder nur verzögert festgestellt werden kann.“

Berlin, 29. April 2020 

DER BUNDESVORSTAND 

Abteilung Sozialpolitik

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