1 Vorbemerkung
Am 24.11.2021 haben SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP den Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ vorgestellt. Der SoVD vertritt als ältester Sozialverband Deutschlands die sozialpolitischen Interessen der gesetzlich Sozialversicherten, der Rentnerinnen und Rentner sowie der behinderten, der kranken und der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland. Menschen, die soziale Unsicherheit und Ungerechtigkeit erleben, stehen im Zentrum seiner Arbeit.
Vor diesem Hintergrund fällt die Bewertung des Koalitionsvertrages zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP ambivalent aus. Der Vertrag enthält eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen. Der SoVD erkennt an, dass dabei in einigen Politikfeldern richtige Schritte vereinbart wurden, die teils an langjährige Forderungen des SoVD anknüpfen und geeignet sind, die Lebenssituation der vom SoVD vertretenen Menschen zu verbessern. Dazu zählen unter anderem der Wegfall des Vermittlungsvorbehalts beim Arbeitslosengeld II, die Anhebung des Mindestlohnes in einem Schritt auf 12 Euro, die Verbesserung der Erwerbsminderungsrenten auch im Bestand, der Einführung einer Kindergrundsicherung, der Einführung einer vierten Stufe der Ausgleichsabgabe für Unternehmen, die keine schwerbehinderten Menschen beschäftigen, der Bau von 100.000 Sozialwohnungen jährlich, der Einstieg in die sektorenübergreifende Gesundheitsversorgung oder das Versprechen, in einem gleichstellungspolitischen Jahrzehnt die Gleichstellung der Geschlechter zu vollenden.
Zum Teil bleiben die vereinbarten Maßnahmen aber hinter dem Notwendigen zurück.Auch ein Mindestlohn von 12 Euro wird nicht reichen, um nach einem langen Erwerbsleben ein Alterseinkommen oberhalb der Grundsicherung zu erhalten. Dazu wären derzeit mindestens 13 Euro in der Stunde nötig. Es wird weiterhin keine Abkehr vom gescheiterten Drei-Säulen-Modell in der Alterssicherung und keine Rückkehr zur Lebensstandardsicherung der Gesetzlichen Rentenversicherung geben und auch weitere Schritte zu einer Bürgerversicherung auf Basis der Gesetzlichen Krankenversicherung unterbleiben. Beim neuen Bürgergeld fehlen Vereinbarungen zur zentralen Reformnotwendigkeit, der Anhebung der Grundsicherung auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Und der Eigenanteil in der Pflege soll begrenzt werden, statt durch Einführung einer Pflegevollversicherung zu entfallen.
Manches ist aus Sicht des SoVD auch falsch. Dazu zählt die Ausweitung der Minijobs, die sich nicht zuletzt in der aktuellen Pandemie erneut als Armutsfalle vor allem für Frauen erwiesen haben, ebenso wie der Einstieg in eine Teilkapitaldeckung der gesetzlichen Rente oder die Wiederaktivierung des Nachholfaktors als Kürzungsfaktor in der Rente.
Zudem verzichten die Koalitionsparteien auf jegliche Maßnahmen mit dem Ziel, Einkommen und Vermögen in Deutschland so umzuverteilen, dass Ungerechtigkeit beseitigt, Armut bekämpft und der auch in der aktuellen Pandemie noch größer gewordene private Reichtum angemessen zur Finanzierung unseres Gemeinwesens herangezogen wird. Insoweit vermisst der SoVD beispielsweise eine Anhebung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer, eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die Einführung einer Vermögensabgabe und eine Reform der Erbschaftssteuer mit dem Ziel, die Steuersätze für große Erbschaften erheblich anzuheben.
Papier ist geduldig und viele Aussagen im Koalitionsvertrag sind Absichtserklärungen, die sich in ihrer Wirksamkeit noch nicht abschätzen lassen. Bei vielen angekündigten Maßnahmen wird es auf die konkrete Ausgestaltung ankommen. Wir werden also erst Ende 2025 wissen, was aus den im Koalitionsvertrag verabredeten Maßnahmen geworden ist.
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