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Referentenentwurf Weiterbildungsgesetz

Arbeit

SoVD- Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung und Einführung einer Bildungszeit (Weiterbildungsgesetz)

1 Zusammenfassung des Referentenentwurfs

Der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung und Einführung einer Bildungszeit verfolgt das Ziel, durch den Strukturwandel bedingte Arbeitslosigkeit zu vermeiden, dringend benötigte Fachkräfte auszubilden, Fachkräfte in den Unternehmen zu halten und dort für neue Aufgaben und Tätigkeitsfelder weiter zu qualifizieren. Dafür sieht der Referentenentwurf im Wesentlichen folgende Änderungen und Neuregelungen vor:

  • Reform der Weiterbildungsförderung Beschäftigter nach § 82 SGB III (Inkrafttreten 1.12.2023),
  • Einführung eines Qualifizierungsgeldes (Inkrafttreten 1.12.2023),
  • Einführung einer Bildungs(teil)zeit (Inkrafttreten 1.1.2025),
  • Einführung einer Ausbildungsgarantie (Inkrafttreten überwiegend zum 1.12.2023; außerbetriebliche Berufsausbildung zum 1.7.2024) und
  • Verlängerung der Erstattungen bei beruflicher Weiterbildung während Kurzarbeit um ein Jahr bis 31. Juli 2024.

Mit diesen Maßnahmen soll den drei großen „D“ begegnet werden: Demografie, Digitalisierung, Dekarbonisierung.

Demografie: Die Menschen werden immer älter; gleichzeitig kommen weniger junge Fachkräfte nach. Digitalisierung: Durch die zunehmende Digitalisierung und damit einhergehende Automatisierung verändern sich die Arbeitsprozesse; bestimmte Tätigkeiten fallen weg, neue entstehen. Dekarbonisierung: Hiermit ist der Umstieg von fossilen Brennstoffen auf kohlenstofffreie und erneuerbare Energiequellen zu verstehen und damit ebenfalls eine Veränderung der Arbeitsprozesse und von Berufsfeldern.

Mit diesem Reformvorhaben sollen die Rahmenbedingungen so verändert werden, dass es Arbeitnehmer*innen noch besser ermöglicht wird, an Weiterbildungen teilzunehmen. Von zentraler Bedeutung ist es dabei, dass diese nicht erst greifen, wenn die Person bereits ihre Arbeit verloren hat, sondern schon vorher. Dafür soll die Weiterbildungsförderung Beschäftigter reformiert werden, indem sie transparenter und einfacher ausgestaltet wird. Außerdem sollen zwei neue Instrumente eingeführt werden: das Qualifizierungsgeld und die Bildungs(teil)zeit. Bei beiden Instrumenten handelt es sich um eine Entgeltersatzleistung, um den Lohnausfall während einer Weiterbildungsmaßnahme zu ersetzen. Bei dem Qualifizierungsgeld geht die Initiative vom Betrieb aus. Das heißt, der Arbeitgeber initiiert die Weiterbildung, beantragt das Qualifizierungsgeld bei der Bundesagentur für Arbeit und übernimmt die Kosten für die Weiterbildung. Bei der Bildungs(teil)zeit geht die Initiative von der*dem Beschäftigten aus. Diese*r kümmert sich selbstständig um die Weiterbildung und beantragt das Bildungszeitgeld bei der Bundesagentur für Arbeit. Voraussetzung ist jedoch ein bestehendes Arbeitsverhältnis und eine Vereinbarung mit dem*der Arbeitgeber*in. Während der Bildungszeit und auch im Rahmen des Qualifizierungsgeldes wird die Arbeitszeit vollständig oder teilweise reduziert. Mit diesen Maßnahmen soll erreicht werden, dass Arbeitslosigkeit gar nicht erst entsteht, da die Beschäftigten frühzeitig auf die neuen Anforderungen in ihrem Beruf vorbereitet werden beziehungsweise sich frühzeitig neu qualifizieren.

Ein vorhandener Berufsabschluss ist eine wesentliche Voraussetzung für eine gelingende Integration in den Arbeitsmarkt. Noch zu viele Jugendliche gehen jedoch bei dem Übergang von der Schule in den Beruf verloren. Die Einführung einer Ausbildungsgarantie soll die Chancen der Jugendlichen auf einen vollqualifizierenden, betrieblichen Berufsabschluss erhöhen. Dafür soll ein Maßnahmenbündel aus Berufsorientierungspraktikum, Mobilitätszuschuss und dem Ausbau der Einstiegsqualifizierung zu einer Ausbildungsgarantie führen.

Die geplanten Maßnahmen sollen auch den Vereinbarungen aus der Nationalen Weiterbildungsstrategie Rechnung tragen und auf europäischer Ebene einen Beitrag zur Umsetzung der Europäischen Säule Sozialer Rechte leisten. Darüber hinaus handelt es sich um Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag.

2 Gesamtbewertung

Deutschland steuert auf eine Fachkräftekrise zu, die in einigen Branchen schon deutlich zu spüren ist und sich auch in anderen Bereichen mit dem Eintritt der sogenannten Babyboomer in die Rente noch weiter verschärfen wird. Aktuell fehlen Deutschland knapp eine halbe Million Fachkräfte. Besonders betroffen sind die Berufsgruppen der Sozialarbeit und Sozialpädagogik, Erzieher*innen, Pflegepersonal, der Bauelektrik, der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, der Kraftfahrzeugtechnik sowie der IT.

Trotz vielerorts fehlenden Personals und fehlender Fachkräfte gibt es Menschen, die aus gesundheitlichen, persönlichen und/oder qualifikatorischen Gründen keine Arbeit finden oder nicht entsprechend ihrer Arbeitszeitwünsche tätig sind. Auch können jedes Jahr ca. 78.000 junge Menschen nach der Schule nicht in eine Ausbildung vermittelt werden. Es fehlt häufig an der Passgenauigkeit. An dieser Stelle möchte der Referentenentwurf ansetzen. Bereits bevor die Menschen ihre Arbeit verlieren oder sie am Übergang von der Schule in den Beruf „verloren“ gehen, sollen sie (weiter)qualifiziert und gezielter angesprochen werden, um den Berufseinstieg zu schaffen, den neuen Anforderungen gerecht zu werden oder um perspektivisch aus gesundheitlichen oder Alters-Gründen nicht auszufallen.

Dieser Ansatz ist aus Sicht des SoVD genau richtig und die Maßnahmen scheinen im Großen und Ganzen geeignet, um diese Ziele zu erreichen. Denn qualifizierte Aus- und Weiterbildung ist eine zentrale Stellschraube zur Fachkräftesicherung. Diese trägt wiederum dazu bei, den Wirtschaftsstandort Deutschland und damit Arbeitsplätze zu sichern. Das sorgt für Beschäftigungsmöglichkeiten der Menschen und sichert damit deren Einkommen und trägt zur Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme bei.

Zu begrüßen sind die Einführung eines Qualifizierungsgeldes und einer Bildungs(teil)zeit. Beide Maßnahmen verfolgen das Ziel, Berufstätigkeit und Weiterbildung miteinander in Einklang zu bringen. Da das eine Instrument (Qualifikationsgeld) arbeitgeberinitiiert ist und das andere, die Bildungs(teil)Zeit, beschäftigteninitiiert, ergänzen sich beide Instrumente. Unklar ist jedoch, ob die Höhe der Leistungen ausreichend ist.

Bei der Ausbildungsgarantie handelt es sich vielmehr um ein Maßnahmenbündel als einen Rechtsanspruch auf einen Ausbildungsplatz, was der Name zunächst vermuten 

lässt. Dennoch werden mit den Einzelmaßnahmen die richtigen Akzente gesetzt. Besonders zu begrüßen ist, dass auch junge Menschen mit Behinderungen explizit mitgedacht werden und beispielsweise die Einstiegsqualifizierung für diese Personengruppe geöffnet werden soll.

Nicht verständlich ist angesichts des hohen Bedarfs an Fachkräften im Sozialwesen und in der Gesundheits- sowie IT-Branche die Fokussierung auf betriebliche Ausbildungen. Denn in diesen Bereichen werden Fachkräfte üblicherweise schulisch ausgebildet. Diese auch künftig enorm wichtigen Berufsgruppen dürfen bei den Reformplänen nicht aus dem Blick geraten. Eine zentrale Rolle spielen hier die Höhe der Ausbildungsvergütung, das Schulgeld und die Aussicht auf eine angemessene Bezahlung. Dies ist auch für einen weiteren Aspekt relevant: Der Fachkräftemangel zeigt sich vor allem in sogenannten typisch weiblichen und männlichen Berufsfeldern. Diese jeweils für das andere Geschlecht attraktiver zu machen, würde den potenziellen Beschäftigtenkreis verdoppeln. Daher sind neben den Weiterbildungsmaßnahmen auch Instrumente notwendig, die dieser Geschlechtersegregation entgegenwirken.

Außerdem stehen Minijobs einer Ausweitung der Arbeitszeit im Wege. Die Anhebung der Minijobgrenze auf 520 Euro und die Dynamisierung findet der SoVD nach wie vor falsch. Diese Regelung muss auch vor dem Hintergrund der Fachkräftesicherung rückgängig gemacht und Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umgewandelt werden.

Mit der Stärkung der Aus- und Weiterbildung müssen auch Fragen der Qualität der Weiterbildung mitgedacht werden. Dass beim Qualifizierungsgeld keine Maßnahmezertifizierung und bei der Bildungszeit weder Maßnahme- noch Trägerqualifizierung notwendig sein sollen, sieht der SoVD durchaus mit Sorge. Hinsichtlich der Bildungszeit ist das Argument der Selbstbestimmung der Arbeitnehmenden durchaus nachvollziehbar, jedoch muss der Gesetzgeber eine gute Qualität auch von arbeitnehmerinitiierten Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen sicherstellen.

Fortsetzung zu einzelnen Regelungen im PDF.