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Stellungnahme zum Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen

Gesundheit

Stellungnahmeverfahren des Bundesministeriums für Gesundheit

1 Allgemeine Bemerkungen

Der SoVD begrüßt, dass das Bundesministerium für Gesundheit einen Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen auf den Weg bringt. Für ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen ist die freie Arztwahl, welche durch § 76 SGB V grundsätzlich gesetzlich festgeschrieben ist, faktisch nicht gegeben, weil viele Praxen zahlreiche Merkmale der Barrierefreiheit nicht erfüllen und sie damit ihre ärztliche Versorgung nicht nur nicht frei wählen können, sondern dadurch auch eine erhöhte Gesundheitsgefährdung für diese Personengruppe besteht.

Der SoVD begrüßt daher, dass der Handlungsbedarf erkannt wurde, mahnt jedoch an, dass die zahlreichen Änderungsbedarfe zügig gesetzgeberisch angegangen werden, damit eine gute medizinische Versorgung für Menschen mit Behinderungen gewährleistet werden kann. Der hier zu bewertende Aktionsplan weist viele gute Maßnahmen für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen auf, die Umsetzung derer soll in allzu vielen Fällen allerdings erst langfristig erfolgen, bzw. finden sich an vielen Stellen lediglich Prüfaufträge oder wenig verbindliche Handlungsaufträge. Dies kritisiert der SoVD nachdrücklich.

Generell gilt: Barrierefreiheit und ein breites Verständnis von Inklusion muss im Gesundheitswesen noch viel stärker gefördert und umgesetzt werden, als es bisher der Fall ist.

2 Zu einzelnen Maßnahmen des Aktionsplans

Im Folgenden nimmt der SoVD zu einzelnen Maßnahmen des Aktionsplanes Stellung.

Maßnahme I.37

Die Patientenrechte sollen weiterentwickelt werden. Dies kommt allen Patientinnen und Patienten zugute und stärkt deren Stellung und Rechte, insbesondere im Hinblick auf etwaige Behandlungsfehler.

SoVD-Bewertung: Das Patientenrechtegesetz von 2013 war ein Meilenstein. Es hat die Rechte und Pflichten aus dem Behandlungsverhältnis erstmals auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und damit die Transparenz erhöht. Es zeigt sich aber, dass nach wie vor Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der Patientenrechte und bei der Aufklärung des Behandlungsgeschehens bestehen. Nach über zehn Jahren Erfahrung mit dem Patientenrechtegesetz müssen die Rechte und Pflichten im Behandlungsverhältnis im Interesse der Patientensicherheit weiterentwickelt und den aktuellen Erkenntnissen angepasst werden. Prof. Dr. Thomas Gutmann, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Rechtsphilosophie und Medizinrecht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, hat in einem rechtswissenschaftlichen Gutachten im Auftrag des SoVD notwendige Handlungsbedarfe und konkrete Empfehlungen für eine Weiterentwicklung und Stärkung der Patientenrechte in Deutschland aufgezeigt.

Folgende zentrale Handlungsempfehlungen sind aus Sicht des SoVD gesetzgeberisch dringend geboten:

  • Der Gesetzgeber sollte die Geltung der allgemeinen Prinzipien des vertraglichen Haftungsrechts für die Haftung im Rahmen des Behandlungsvertrags wiederherstellen. Er sollte zu diesem Zweck anordnen, dass die Patient*innen nur die Pflichtverletzung des Behandelnden – die nach dem Standard des § 630a Absatz 2 BGB fehlerhafte Behandlung – nach Maßgabe des § 286 ZPO nachzuweisen haben und dass hinsichtlich der Kausalität zwischen dem Behandlungsfehler und dem Eintritt sowie der Höhe des Schadens § 287 ZPO anzuwenden ist. Den Gerichten soll es möglich sein, den Anspruch bereits dann anzuerkennen, wenn die haftungsbegründende Kausalität nur überwiegend wahrscheinlich ist.
  • In § 630g Absatz 1 a.E. BGBNEU sollte zugleich festgehalten werden, dass sich das Einsichtsrecht der Patient*innen bei berechtigtem Interesse auch auf die Hygienepläne des Krankenhauses, die in § 23 Absatz 4 und Absatz 5 des Infektionsschutzgesetzes genannten anonymisierten Unterlagen sowie auf weitere Unterlagen und Aufzeichnungen erstreckt, hinsichtlich derer ein Zusammenhang mit der Behandlung besteht oder bestehen kann.
  • Für den Fall, dass die Patient*innen von ihrem Recht der Einsicht in die Patientenakte Gebrauch machen, sollte der*die Behandelnde verpflichtet werden, die Vollständigkeit der zur Verfügung gestellten bzw. übermittelten Abschriften zu bestätigen.
  • Im Interesse der Patient*innen sollte hinsichtlich der Verjährung ihrer möglichen Schadensersatzansprüche aus dem Behandlungsvertrag zudem rechtssicher festgehalten werden, dass der Lauf der Verjährungsfrist frühestens ab dem Zeitpunkt beginnt, zu dem die vollständige Patientenakte eingesehen werden konnte.
  • Die Pflicht des Behandelnden, den Patient*innen Tatsachen mitzuteilen, die das Vorliegen eines Behandlungsfehlers möglich oder naheliegend erscheinen lassen (§ 630c Absatz 2 Satz 2 BGB), sollte künftig generell, auch ohne Nachfrage der Patient*innen, bestehen.
  • Die Norm des § 630c Absatz 2 Satz 2 BGB sollte zugleich ergänzt werden und festhalten, dass dann, wenn für den Behandelnden Umstände erkennbar sind, die die Annahme eines Behandlungsfehlers oder die Möglichkeit eines dritt-verursachten Schadens beispielsweise durch den Hersteller eines Medizin- oder Blutprodukts begründen, er den Patient*innen über diese zu informieren hat.
  • Neben diesen gebotenen Stärkungen der Stellung der Patient*innen im bestehenden Haftungssystem sollte ergänzend ein Härtefallfonds mit gedeckelten Ansprüchen – wie im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und FDP vereinbart – eingeführt werden, um besonders gelagerte Einzelfälle, die durch das Raster der abstrakt-generellen Regeln des Haftungssystems fallen und von diesen nicht gerecht entschieden werden können, verschuldensunabhängig aufzufangen.

Maßnahme I.4

Das BMG wird sich für eine gesetzliche Regelung einsetzen, dass die Vertrags-partner (KBV, KZBV, Bundesfachstelle Barrierefreiheit und Interessenvertretung der Patientinnen und Patienten nach § 140f SGB V) zu einem regelmäßigen Austausch und zur Anpassung der Richtlinie nach § 75 Abs. 7 Nr. 3a SGB V verpflichtet werden.

SoVD-Bewertung: Mit Blick auf die erst am 15. Juli 2024 in Kraft getretene Richtlinie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zur Information über die Sprechzeiten der Vertragsärzte und über die Zugangsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen zur Versorgung heißt es in § 2 Abs. 3: „Vertragsärztinnen und Vertragsärzte sind nicht verpflichtet, die Angaben nach Anlage 1 vollständig zu erfassen und an die KV zu übermitteln.“

Der SoVD kritisiert, dass bei der Erarbeitung dieser Richtlinie die maßgeblichen Patientenorganisationen nicht vollumfänglich beteiligt waren, wie es die o.g. Maßnahme beschreibt. Zu kritisieren ist am § 2 Abs. 3 der Richtlinie, dass diese es für Arztpraxen zulässt, nur ausgewählte Informationen über die Barrierefreiheit weiterzugeben. Ziel der oben erwähnten überarbeiteten Richtlinie war es aber gerade, Patientinnen und Patienten möglichst vollumfängliche Informationen über die Barrierefreiheit zur Verfügung zu stellen, damit die Patienten und Patientinnen verlässlich wissen, ob ein Arztbesuch in der jeweiligen Praxis für sie möglich ist.

Hätte ein regelmäßiger Austausch mit den maßgeblichen Patientenorganisationen stattgefunden, wäre es wahrscheinlich nicht zu einer solchen missverständlichen, bzw. ausweichenden Formulierung in der Richtlinie gekommen.

Hier sollte das BMG im Wege seiner Rechtsaufsicht eine Klarstellung gegenüber der KBV vornehmen.

Maßnahme VI.6

Das BMG unterstützt weiterhin die für die Wahrnehmung der Interessen von Patientinnen und Patienten und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen maßgeblichen Organisationen (§ 140f SGB V).

SoVD-Bewertung: Eine starke Patientenvertretung ist dem SoVD ein wichtiges Anliegen. Als Stimme der über 70 Millionen gesetzlich Versicherten wirken Patientenvertreter*innen seit 20 Jahren engagiert an den Entscheidungsprozessen und Beschlussfassungen in dem höchsten Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung des deutschen Gesundheitswesens mit. Diese Mitwirkung hat sich bewährt und das deutsche Gesundheitswesen hat davon insgesamt profitiert. Vertreter*innen der Patienten*innen und Pflegebetroffenen bringen ihr Wissen um die Bedürfnisse und die Probleme aus dem Versorgungsalltag, aus der eigenen Betroffenheit, der organisierten Selbsthilfe und der Beratung in die Beratungsprozesse ein.

Zugleich hat die Beteiligung zu deutlich mehr Transparenz und Patientenorientierung geführt. Mit den zunehmenden Aufgaben der Selbstverwaltung sind aber auch die Aufgaben und Anforderungen an die Patienten und Pflegebetroffenenvertretung über die Jahre mitgewachsen. Dabei entspricht es nicht dem Anliegen und dem Verständnis des SoVD von einer Patientenvertretung, notwendige Entscheidungsprozesse lediglich symbolisch zeitweise mit einem im GVSG angedachten Vetorecht zu blockieren oder zu verzögern. Ein Vetorecht ist vor allem ein destruktives Instrument. Die Patientenvertretung möchte die Versorgung konstruktiv mitgestalten. Damit die Patientenvertretung ihren gesetzlichen Auftrag zur Mitgestaltung durch Mitberatung im Gesundheitswesen sachgerecht wahrnehmen kann, sind konstruktive Ergänzungen der Mitgestaltungsrechte unterstützende Arbeit der Patientenbeteiligung aufrechtzuerhalten, um weiterhin auf Augenhöhe mit den Selbstverwaltungspartnern in den Entscheidungsverfahren zur Ausgestaltung des Gesundheitswesens mitwirken zu können.

Die maßgeblichen Patientenorganisationen haben sich in einem gemeinsamen Forderungspapier gegen ein Vetorecht ausgesprochen und stattdessen konkrete Maßnahmen und Forderungen zur Stärkung der Patientenbeteiligung und -vertretung im GBA und weiteren Beteiligungsgremien nach § 140f SGB V zur Berücksichtigung im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz veröffentlicht. 

Berlin, 15. August 2024

Der Vorstand
Abteilung Sozialpolitik